Neustart für Niki und Simon
Wie angekündigt, bekommt ihr hier die ganze Geschichte von Niki und Simon zu lesen.
Aber auch nicht alles auf einmal. Neustart ist langsam so lang, dass es zu viel wäre alles auf einmal zu lesen. Daher habe ich mit Beccy gesagt, wir teilen es auf.
Bis zu dem Teil, wo wir gerade sind, wird es also wöchentlich etwas zum Lesen geben, danach, wenn wieder etwas mehr getippt ist. So 4 bis 6 Einheiten pro Beitrag.
1. Niki
Als unser Auto hält, kommt mir die Zeilen ›The Show Must Go On‹ in den Kopf, den nichts anderes ist es doch gerade. Eine Show für die Menschen, die jetzt heimlich aus dem Fenster sehen, um neugierig irgendetwas interpretieren. Und das vermutlich auch noch vollkommen falsch. Auch ja, für meine Eltern ist das ebenfalls ein Showlauf, ›seht her, was wir teures haben‹. Aber in Wirklichkeit ist nichts wirklich teuer. Wir sind so oft schon umgezogen, dass wir und ständig etwas Neues kaufen, weil keines davon einen zweiten Umzug übersteht.
Seufzend steige ich aus und schalte auf meinem Handy Musik an. Wie treffend das erste Lied ›Play the Game‹ ebenfalls von Queen. Schnell stecke ich es in die Halterung an meinem Armband.
Aus dem Transporter nehme ich eine Kiste, mit der ich nach oben gehe, in unser neues Domizil. Wie lange wohl dieses Mal?
»Hey Niki«, sagt mein Vater hinter mir. »Und wie gefällt es dir?«
»Es sind vier Wände, ein Boden und eine Decke.« Ich drehe mich um. »Was ist daran anders?«
Er geht sich durch sein dunkles Haar, was schon ein paar Geheimratsecken aufweist. Plötzlich strahlt er mich an. »Sie haben einen Pferdestall hier, du kannst bestimmt da auch reiten.«
Ja, es erhellt meine Laune etwas, das Problem ist nur, dass es zu meist eine Feste Reitgruppe gibt und man dort selten da hineinkommt. Anstrengen brauche ich mich auch nicht, da wir ja nicht lange hier sein werden.
»Wann muss ich zu der neuen Schule?«
»Oh, ich glaube, die haben gerade Ferien, aber da weiß deine Mutter etwas mehr.«
Wie aufs Stichwort höre ich meine Mutter sagen: »Vorsicht, die ist antik!«
»Ja, gute Frau«, meint einen der Möbelpacker.
»Astrid, gut, dass du gerade kommst«, sagt mein Vater, »Niki will wissen, wann sie die neue Schule besuchen kann.«
Na her, wann ich den Scheiß ›wo kommst du her‹ Mist, hinter mir habe.
Meine Mutter kommt zu uns und holt ihr Handy heraus. »Morgen um zwölf haben wir einen Termin in unserer neuen Schule …«
»Echt jetzt, Mama?«
»Was den?«
»Verdammt, ich will nicht an derselben Schule sein wie du, das ist immer ober peinlich und dazu kommt, ›ja klar, dass du gute Noten hast, deine Mutter spioniert‹.«
»Niki, du weißt …«
»Ne komm, lass stecken, bin nur ich wieder, die unter euren Vagabunden leben leiden muss.«
Mein Vater seufzt. »Niki, wir versprechen dir, wir bleiben jetzt hier.«
»TOLL!«, fauche ich. »Und was ist, wenn es mir mal nicht gefällt? Warum konnte ich nicht bei Jonny bleiben?«
»Dein Bruder macht eine Ausbildung …«
»Bla bla, aber er durfte zu Oma und ich muss mit, wisst ihr eigentlich, wie scheiße das immer für mich ist.«
»Dominique!«, sagen tadelnd meine Eltern.
»SCHEIßE!«, brülle ich ihnen entgegen. »ES IST SCHEIßE!«
»Dominique«, zischt jetzt warnend meine Mutter. »Du benimmst dich jetzt.«
»Weiß die Pädagogin nicht mehr, wie sie sich wehren soll?«
»Der Arzt sagt dir«, knurrt mein Vater, »Du gehst jetzt raus und beruhigst dich!«
Ich folge dem Rat. »Es ist trotzdem scheiße«, fauche ich und fange an zu laufen.
2. Simon
Im Stall war mal wieder dicke Luft. Meine Güte, dieses Gezicke der Weiber war einfach nur nervend. Konnte man nicht ohne diese Hühner auskommen? Wäre ja auch zu einfach.
Ich versuchte, das Gezanke auszublenden und holte mein Pferd aus der Box. Das Tier war schon von Natur aus nervös, doch so war es kaum zu bändigen. Mit einem unguten Gefühl band ich den Hengst in der Stallgasse an, es regnete draußen wie aus Eimern. Bei solch einem Theater zog ich tatsächlich den Putzplatz draußen vor. Doch heute war es nicht möglich.
Als die erste Bürste flog, platzte mir der Kragen. »Verdammte scheiße noch mal! Könnt ihr dieses Gezicke auf der Toilette fortsetzen? Hier stehen Pferde!«
»Oh Simon hat wieder seinen empfindlichen Tag. Geh du doch aufs Klo! Vielleicht kommst du danach mal zurande!«, fauchte Rieke zurück. Ich legte meine Bürste zur Seite und ging auf sie zu. Madame verzog sich direkt, sie wusste, dass ich gerade nicht zum Scherzen aufgelegt war und für ihr Theater schon gar nicht. »Gerne. Aber mit dir und dann kannst du mal sehen, wie die Kloschüssel von innen aussieht.«
Sie schüttelte nur wortlos den Kopf.
»Dann haltet endlich euren Mund oder geht raus.«
Fortan war Ruhe und ich konnte mein Pferd fertig machen, ohne ständig seinen auskeilenden Hufen auszuweichen.
3. Niki
Irgendwie bin ich in einem Wald gelandet. Mittendrin bleibe ich stehen und schreie meine Wut hinaus. Wieso kann ich keine normalen Eltern haben? Wieso so Nomaden? Meine Großeltern sind beide anders, leben seit ich denken kann, in einem Ort, nur ich habe schon so viele Schulen gesehen, dass ich sie bereits gar nicht mehr zählen kann. Eine sogar nur Sage und Schreibe für zwei Wochen. Beim weiter Laufen reibe ich mein Genick und Schulterblätter, es soll mich beruhigen, hat mein Vater mal gesagt, einen scheiß tut es. Ich komme an einer Bank vorbei, auf der ich mich niederlasse und zwischen den Zweigen über mir suche ich die Sonne. Doch der Himmel wird immer finsterer, dunkle Wolken haben mir den Blick verwehrt. »Toll«, brumme ich, »jetzt werde ich auch noch nass.«
Genervt laufe ich zurück. Die Wege sehen hier alle gleich aus, bin ich von links gekommen oder von rechts. »Mann«, fauche ich. Ich habe mich verlaufen. Noch ein Punkt, der gegen dieses ständige Umziehen spricht, ich müsste mich nicht ständig neu orientieren.
Ich entscheide mich, nach links zu gehen. Statt hinaus komme ich immer tiefer. Jetzt fluche ich wie ein Rohrspatz, zu meinem übel trifft meine Prophezeiung ein. Es regnet.
»Kann dieser Tag noch schlechter werden?«
Ich hole mein Handy hervor und rufe meinen Vater an. »Niki?«
»Ne der Heilige Geist«, gebe ich mürrisch von mir. »Ich habe mich verlaufen, ich brauch die verfickte Adresse.«
»Sei froh, dass deine Mutter das nicht gehört hat.«
»Mir gerade Scheiß egal. Ich stehe mitten in einem beschissenen Wald, es seucht aus Eimern und meine Laune ist gerade beim Teufel eingezogen!«
4. Simon
Verdammte Weiber. Ehrlich. Nachdem ich mein Pferd fertig hatte, ging ich in den Vorraum der Halle, zog die Bügel runter und gurtete noch einmal nach. Ich hasste diese Tage. Einzeltrainings waren mir definitiv lieber. Doch dafür fehlte mir diese Woche einfach die Zeit.
Ich schwang mich in den Sattel, zügelte Samba und ritt zur Tür. »Tür frei!« rief ich und bekam auch postwendend die Antwort. Zum Glück waren in den späteren Springstunden fast nur Männer. Das machte das Training definitiv angenehmer. Auch, wenn die gaffenden Hühner auf der Bande standen. Na meinetwegen.
Nach dem Warmreiten gings an Einspringen. Samba hatte eine Laune, die sich hervorragend an meine angepasst hatte. Heute hatte ich nur keine Lust auf seine Buckel- und Taucharien.
»Simon, mach die Knie zu! Der holt dich noch darunter!«, brüllte mein Reitlehrer.
Ach ne! Wie kommt man bloß auf solch zauberhafte Rückschlüsse… Als, wenn ich mein Pferd nicht kennen würde. Bei dem Hengst lagen Genie und Wahnsinn nah beieinander. Er konnte springen, dass einem die Luft wegblieb oder das genaue Gegenteil anstellen.
»Mein Gott, der hat aber heute wieder ne Laune!«
»Kommt nem Maultier gleich«, knurrte ich und saß die nächste Buckelarie aus. Ich musste mir ein Aufstöhnen verkneifen. Wenn der so weitermachte, hatte ich nachher nur noch Rühreier…
5. Niki
Ich höre meinen Vater tief durchatmen. Selbst für ihn sind das jetzt zu viele ›nicht nette Worte‹ gewesen. »Okay, hör zu, ich schicke dir die Adresse, du gibst mir deinen Standort und ich hole dich am Rand.«
»Ja«, brumme ich und sende das Gewünschte. Kurz darauf, bekomme ich eine Adresse und lasse mir die Route dahin anzeigen. Als ich mir es ansehe, erblicke ich einen Namen und sofort habe ich besser Laune. »Ranch.« Doch sofort weiß ich auch wieder, dass es umsonst ist. Wie lange ich mir schon ein Pferd wünsche, weiß ich bereits gar nicht mehr.
»Ein Pferd ist Arbeit«, hat meine Mutter gesagt. Als, wenn ich das nicht wüsste.
»Das können wir keinem Tier antun«, hat mein Vater gemeint.
»Aber mir«, habe ich ihm damals entgegengebrüllt. Geändert hat sich nichts. Wieder mal bin ich an dem Punkt, dass ich mein Leben hasse.
Ich laufe, wie die Stimme es mir befiehlt. Als ich hinaustrete, sehe ich den Trampelpfad schon unser Auto entgegenkommen. Mein Vater bremst und ich steige ein.
»Immer noch sauer.«
Es ist keine Frage, aber trotzdem nicke ich.
»Niki.«
»Lass es stecken.« Ich wende mich an ihn. »Kein Bock auf deine Ausflüchte.«
»Wir lieben dich«, seufzt er und setzt zum Rückwärtsgang an. Mein Blick geht zum Waldrand, wo gerade ein Araber geritten wird. Es ist schön, zu sehen, lässt mich aber traurig zur Seite wenden.
»Wie lange bleiben wir dieses Mal?«, frage ich verbittert.
Er sagt nichts, warum, weil er keine Versprechen gibt, die er weiß, dass er sie niemals einhalten kann.
»Geh dich warm abduschen«, meint er, als er den Wagen anhält.
»Ja ja.« Ich reise die Tür auf und gehe in das Zimmer, dass Pferdeschild mit meinem Namen hängt. Der Tag ist für mich gelaufen. Gute Nacht.
6. Simon
Nach dem Training muss ich dann doch irgendwann nach Hause. Ich habe absolut keine Lust. Nicht umsonst bin ich so viel im Stall. Doch irgendwann musste auch ich leider mal nach Hause. »Ach der junge Mann findet den Weg auch mal wieder ins Elternhaus«, begrüßt mich mein Vater.
»Es fällt euch doch eh nicht auf, ob ich da bin oder nicht.«
Müde streife ich mir die Schuhe von den Füßen und hänge die Jacke auf. »Rede keinen Unsinn. Du bist doch nie da!«
Wütend drehe ich mich um. »Ja, dann überleg mal warum!«
Mein Vater zuckt zusammen. »Das wirst du mir auf ewig vorhalten, oder?«
Ich war gerade auf dem Weg in mein Zimmer. »Darauf kannst du deinen Arsch wetten.«
»SIMON!« Nun konnte ich zusehen, wie sein Gesicht sich rot verfärbte. »Was?«
»Seit wann hast du so mit mir zu reden?«
»Seitdem du woanders eher zu Hause bist als hier. Und du fragst dich, warum ich kaum hier bin. Bist doch sonst so fix und findest Zusammenhänge.«
»Mein Freund!«, setzte er an, doch ich fuhr ihm dazwischen.
»Noch immer dein Sohn. Leider. Von Freunden kann hier keine Rede sein. Ich kann es dir auch gern via E-Mail schicken. Kannst du ja dann in der Kanzlei oder wo auch immer bearbeiten. Das fällt dir ja offenbar leichter.«
Ich ging die Stufen hoch zu meinem Zimmer. »Das Gespräch ist noch nicht zu Ende, Simon. Du lässt mich hier nicht stehen, wie einen dummen Schuljungen!«
»Warum nicht? Was anderes machst du doch mit mir auch seit einem Jahr nicht mehr. Viel Spaß beim Essen. Mir ist der Hunger vergangen. Nacht.«
Ich ließ ihn stehen. Wie einen dummen Schuljungen. Er hatte es nicht anders verdient.
Nächste Woche gibt es den nächsten Abschnitt von Neustart 🙂